Eva Stephan
Schule für Kinder und Jugendliche mit Körper- und Mehrfachbehinderungen, Zürich
Logopädin MAS NDT
Mit den Augen sprechen? Die „Handreichung Augensteuerung“ als Hilfestellung
Kinder mit schweren motorischen Beeinträchtigungen ohne Lautsprache benötigen Assistenz in allen Bereichen des Alltags inklusive Kommunikation und Spiel. Unter Umständen sind Augenbewegungen die einzigen willkürlich kontrollierbaren Bewegungen 1. Analoge Kommunikationshilfsmittel wie Blicktafeln oder -ordner können eine Hilfe sein, sind jedoch von der Interpretation des Gesprächspartners abhängig. Häufig nutzen Eltern einen Ja-Nein-Code von körpereigenen Zeichen und Gesichtsausdruck. Die Kommunikation mit wenig vertrauten Partnern ist selten erfolgreich. Eltern berichten über Frustration, wenn sie die Bedürfnisse ihrer Kinder nicht verstehen, z.B. ihr Weinen nicht deuten können. Borgestig, Rytterström & Hemmingsson haben in einer qualitativen Studie Eltern befragt, deren Kinder mit einem Kommunikationshilfsmittel mit Augensteuerung versorgt wurden. Die Eltern erlebten es als positiv, dass ihr Kind mehr Handlungsfähigkeit zeigen konnte und sie seine Bedürfnisse besser verstanden. Sie schätzten, dass ihr Kind den eigenen Willen ausdrücken oder sich selbst mit Spielen und Musik beschäftigen konnte 2. Eine Langzeitstudie zeigte, dass sich alle Probanden (Kinder mit schweren motorischen und kommunikativen Beeinträchtigungen) über einen Zeitraum von 20 Monaten in Bezug auf Geschwindigkeit und Genauigkeit verbessern konnten 1.
Der Nutzen eines Kommunikationshilfsmittels mit Augensteuerung ist unbestritten und weckt Hoffnungen. Damit diese nicht enttäuscht werden, müssen Voraussetzungen und mögliche Hindernisse geklärt werden. Grundsätzlich kann eine Augensteuerung auch bei eingeschränktem Sehvermögen genutzt werden. Mindestens ein Auge muss kontrolliert bewegt sowie von der Kamera erkannt werden können. Der Nutzer muss erkennen, dass er mit dem Blick etwas bewirken kann. Das ist ein nicht unerheblicher Lernschritt, denn die ursprüngliche Funktion des Blickes ist die Wahrnehmung 4. Das Ursache-Wirkungs-Prinzip kann vom Nutzer mit einer Augensteuerung erlernt werden, bevor er sie zu kommunikativen Zwecken einsetzt. Leider setzen Kostenträger in der Schweiz bereits ein sehr hohes kommunikatives Niveau voraus, wenn es um die Bewilligung eines Gerätes mit Augensteuerung geht. Dadurch erhalten viele potenzielle Nutzer gar nicht die Möglichkeit, basale Erfahrungen mit einer Augensteuerung zu sammeln.
Als weitere wichtige Voraussetzungen nennen Holmqvist, Thunberg und Peny Dahlstrand den Faktor Zeit, das Know-how und die Zusammenarbeit des Umfeldes, sowie Möglichkeiten Einsatzes und einen anregenden Inhalt 3. Wird die Anschaffung einer Augensteuerung erwogen, lohnt es sich, im Vorfeld die Voraussetzungen des Nutzers und seines Umfeldes zu klären.
Einen wertvollen Leitfaden zur gemeinsamen Bedarfsanalyse, zur Klärung der Voraussetzungen sowie hilfreiche Anregungen für den Einstieg mit der Augensteuerung bietet die Handreichung Augensteuerung des Projekts EyeTrack4all der Alice Salomon Hochschule Berlin. Das Dokument ist gratis per Download verfügbar 4. Zur Evaluation der individuellen Fähigkeiten enthält das Dokument einen Beobachtungsbogen zum Seh- und Hörvermögen, dem Verstehen von Blickaufgaben, der Aufmerksamkeit und der Positionierung des Gerätes. Die Beobachtungskriterien machen deutlich, dass die Anschaffung einer Augensteuerung eine interdisziplinäre Angelegenheit sein muss - weswegen sich der Blick ins Dokument nicht nur für Logopädinnen lohnt.
Quellenangaben