Eva Stephan
Schule für Kinder und Jugendliche mit Körper- und Mehrfachbehinderungen, Zürich
Logopädin MAS NDT
Siallorhö bei Kindern mit CP – Behandlungsansätze (I)
Montagmorgen, 9h. Der Schulbus trifft bei der SKB ein und L. wird von ihrer Klassenlehrerin in Empfang genommen. Die erste Handlung nach der Ankunft ist der Griff in den Rucksack – das nasse Halstüchlein wird gegen ein frisches ersetzt. Um 15h erfolgt der letzte Halstuch-Wechsel. Zehn feuchte Halstücher nimmt L. nach Hause zum Waschen – eine tägliche Routine. Denn L. verliert ständig Speichel.
Rund 40% der Kinder mit CP leiden unter unkontrolliertem Speichelverlust (Drooling). Ein multidisziplinäres Team aus Nijmegen konnte nachweisen, dass es sich nicht um vermehrten Speichelfluss (Hypersalivation) handelt. Vielmehr ist der Verlust von Speichel zurückzuführen auf ungenügende oralmotorische Kontrolle und die Schwierigkeiten, den Speichel zu schlucken.2 Der Speichelverlust wird als Siallorhö bezeichnet. Eine Unterscheidung vom deutlich sichtbaren anterior drooling (Verlust von Speichel aus dem Mund) und dem unsichtbaren posterior drooling (Speichel gelangt unkontrolliert von der Mundhöhle in den Rachenraum) ist für die Planung einer Intervention sinnvoll.
Siallorhö hat kann schwerwiegende Folgen haben. Medizinische Folgen können sein: Hautirritationen durch die feuchte Haut oder schlechte Zahngesundheit durch mangelnde Umspülung der Zähne durch Speichel. Noch gravierender kann posterior drooling in chronischer Aspiration und damit einhergehenden wiederkehrenden Lungeninfekten resultieren.1,3 Mögliche psychosoziale Folgen sind: Häufig nötiger Kleiderwechsel, die Beschädigung von Büchern oder Kommunikationsgeräten durch den Speichel und nicht zuletzt die soziale Scham. Letztere kann beträchtlich sein und betrifft nicht nur die Person selbst, sondern auch deren soziales Umfeld (Eltern, Geschwister etc.).1
Es stellt sich die Frage nach Behandlungsansätzen, deren Wirksamkeit und Sicherheit. Eine Meta-Studie3 hat sich mit dieser Frage beschäftigt und verschiedene Gruppen von Intervention nach Effektivität und Nebenwirkungen untersucht. Ernüchtert musste festgestellt werden, dass es wenige Studien mit hoher Güte zu dem Thema gibt und deshalb keine gesicherten Aussagen in Bezug auf die Evidenz einzelner Massnahmen gemacht werden können. Hinweise zu Wirksamkeit und möglichen Nebenwirkungen gibt es trotzdem – und zwar von chirurgischen Massnahmen, pharmakologischer Behandlung und der Injektion von Botulinum-Toxin.
Doch was ist mit der Optimierung des Haltungshintergrundes fürs Schlucken oder der Verbesserung der oralmotorischen und oralsensorischen Fähigkeiten durch physiotherapeutische bzw. logopädische Behandlung? Nebenwirkungen konnten immerhin keine nachgewiesen werden. Ebenso wenig jedoch die Effektivität, obwohl wir in der klinischen Beobachtung einen deutlichen Effekt erkennen. Im therapeutischen Alltag handeln wir auch aus Erfahrungswissen und stützen uns auf Beobachtungen. Ich plädiere dafür, den Stellenwert des Erfahrungswissens aufgrund mangelnder Datenlage nicht zu schmälern. Zu hoffen ist jedoch, dass die Effektivität unserer therapeutischen Intervention bei der Behandlung von Siallorhö die verdiente Evidenz bekommt.
Quellenangaben