Kolumne
Mehr nützt mehr

Mehr nützt mehr

„Mehr nützt mehr“, trifft diese Aussage auch auf unsere Therapie zu? Profitieren die Kinder wirklich stärker von mehr Therapieeinheiten pro Woche? Da dieses Thema sowohl Fachpersonen wie auch Eltern interessiert, wird sich diese Kolumne damit auseinandersetzen. Zum Schluss möchte ich den Blickwinkel öffnen und mögliche Schlussfolgerungen für unseren Alltag als Therapeutinnen und Therapeuten ziehen.

Es gibt Hinweise in der Literatur, dass die Kinder mit neuromotorischen Einschränkungen, welche eine intensive Therapie in einem klar definierten Zeitraum erhalten mehr Fortschritte machen als Kinder, die während dieser Zeit ihr gewohntes Programm fortsetzten.1,2 Diese Studien, welche sich auf die grobmotorischen Fähigkeiten beziehen, decken sich mit unseren Erfahrungen in Bezug auf die Fortschritte von Kindern nach einer intensiven Rehabilitation von 6-8 Wochen bei uns im Rehabilitationszentrum. Eine Studie aus Korea untersuchte die Beziehung der Therapiefrequenz von Neurodevelopmental Treatment (Physiotherapie und Ergotherapie) und Veränderung in alltäglichen Aktivitäten bei 162 Kinder mit Cerebralparese im Alter zwischen3 und 15 Jahren.4 Die Therapiefrequenz korrelierte positiv mit Verbesserungen der täglichen Aktivitäten. Dies wurde mittels Pediatric Evaluation of Disability Inventory‘ (PEDI)getestet. Wobei insbesondere die Kinder, welche intensive 3-11mal pro Woche Therapie hatten, mehr profitierten als Kinder, die zweimal oder weniger Therapie pro Woche erhielten. Eine Studie untersuchte den Einfluss der zeitlichen Dauer einer intensiven Hand-Arm-Therapie bei 18 Kindern mit unilateraler spastischer Cerebralparese im Alter zwischen 4 und 12 Jahren.3Die erste Gruppe (n=9) erhielt täglich 6 Stunden Therapie während 3 Wochen(total 90 Stunden), die zweite Gruppe (n=9) erhielt während 1.5 Wochen täglich6 Stunden Therapie (45 Stunden) und nach einer 6-monatigen Pause nochmals während 1.5 Wochen täglich 6 Stunden Therapie (45 Stunden, total 90 Stunden).In dieser Studie wurde die Handfunktion mit dem ‚Assisting Hand Assessment‘(AHA) und die Aktivitäten im Alltag mit dem ‚Canadian Occupational Performance Measure‘ (COPM) und dem PEDI evaluiert. Die Kinder beider Gruppen verbesserten sich in ihrer Handfunktion und in ihren alltäglichen Aktivitäten. Die Verbesserungen waren vergleichbar zwischen der ersten Gruppe nach 90 Stunden und der zweiten Gruppe nach 45 Stunden, wie auch nach zweimal 45 Stunden Therapie. Wobei mehr Kinder der ersten Gruppe ihr verbessertes Resultat im AHA in der6-monatigen Nachfolgeuntersuchung halten konnten.3

Die Studien zeigen, dass Fortschritte mit objektiven Messinstrumenten gemessen werden können und teilweise ein Zusammenhang zwischen der Therapiefrequenz und den Verbesserungen besteht. Keine der Studienbeachtete jedoch die Umweltfaktoren: Wurden Hilfsmittel benutzt und eingesetzt? Wie wurde der Transfer der Inhalte der Therapie in den Alltag gestaltet? Wurden die Eltern und Bezugspersonen in die Therapie involviert? Gibt es einen Einfluss des Schweregrads der Einschränkung auf die erzielten Verbesserungen? Wie sieht es mit der Verfügbarkeit von Therapien aus? Es gibt noch viele weitere solche Fragen, doch fehlen die Antworten. Jede Familie ist einzigartig und gestaltet ihren Alltag auf ihre Art. Das Kind verändert sich und damit auch seine Bedürfnisse. Dies muss im interdisziplinären Austausch zusammen mit dem Kind und der Familie erkannt werden. Wichtig ist, dass das Kind, die Familie und ihre Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. Dabei sollen wir immer wieder reflektieren, ob unsere Therapie in Dosis, Frequenz und Inhalt diesen Bedürfnissen entspricht. Der Austausch und das Gespräch mit der Familie und dem Kind darf nie fehlen.

Quellenangaben

  1. Tsorlakis,N., Evaggelinou, C., Grouios, G. & Tsorbatzoudis, C. Effect of intensiveneurodevelopmental treatment in gross motor function of children with cerebralpalsy. Dev. Med. Child Neurol. 46, 740–5 (2004).
  2. Rahman, M.et al. Effect of Intensive versus Non-Intensive Physical Therapy on Childrenwith Cerebral Palsy. Myemenisingh Med J 25, 421–424 (2016).
  3. Brandão, M.B. et al. Does DosageMatter? A Pilot Study of Hand-Arm Bimanual Intensive Training (HABIT) Dose andDosing Schedule in Children with Unilateral Cerebral Palsy. Phys. Occup. Ther.Pediatr. 38, 227–242 (2018).  
  4. Park, E.-Y.& Kim, E.-J. Effect of the frequency of therapy on the performance ofactivities of daily living in children with cerebral palsy. J. Phys. Ther. Sci.30, 707–710 (2018).
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