Kolumne
Transition to adulthood – Übergang ins Erwachsenenalter

Transition to adulthood – Übergang ins Erwachsenenalter

„Transition to adulthood – Übergang ins Erwachsenenalter“

Die Zeitspanne zwischen Jugendalter und Erwachsenenalter bringt Veränderungen und Unsicherheiten mit sich. Im Englischen wird diese Phase als „transition to adulthood“ bezeichnet. Es ist eine herausfordernde Zeit, sowohl für die Person, welche sie durchlebt, als auch für ihr Umfeld. Mich interessiert, wie junge Menschen mit einer Cerebralparese (CP) diesen Übergang erleben. Wie sehen ihre Bedürfnisse aus? Wie kann ihr Umfeld sie unterstützen? Welche Rolle nehmen wir als Therapeutinnen und Therapeuten in dieser Zeit ein?

Eine Forschungsgruppe aus den USA hat sich mit diesen Fragen beschäftigt.1 Sie führte Gesprächsgruppen (Focus groups) mit neun jungen Menschen (19 Jahre bis 34 Jahre) mit CP durch. Alle Teilnehmenden, vier Frauen und fünf Männer, hatten einen Highschool-Abschluss. Ihre körperlichen Einschränkungen variierten von leicht (Gross Motor Function Classification System (GMFCS) Level I) bis schwer (GMFCS Level V). Drei hatten Artikulationsschwierigkeiten, eine Person nutzte einen Sprachcomputer. Fünf der Teilnehmenden lebten mit ihren Eltern und Geschwistern, vier lebten in einer eigenen Wohnung. Drei waren berufstätig, zwei studierten und vier waren zum Zeitpunkt der Befragung ohne Beschäftigung. Aus den Focus groups ergaben sich vier Hauptthemen:

1) Vertrauen ins Erwachsensein, was unter anderem mit mehr Vertrauen in sich selbst und dadurch mehr Dinge alleine machen zu können in Verbindung stand. Vermehrt auf sich selbst angewiesen zu sein, stand oft mit Angst und Unsicherheit in Verbindung. Alle beschrieben einen drastischen Wegfall von Unterstützung, dies verstärkte ihre Unsicherheit in dieser Überganszeit. Unterstützung und teilweise spezielle Anpassungen, welche sie während der Schulzeit erhielten, wie zum Beispiel mehr Zeit zu erhalten um eine Prüfung zu schreiben, fielen nun weg.

2) Sich im System zurechtfinden; hier sprachen die Teilnehmenden von der Herausforderung, sich im System der Erwachsenenmedizin und Bildung zurechtzufinden. Ein junger Mann erzählte von seiner Erfahrung in Bezug auf Sprach-Rehabilitation. Es fiel ihm schwer, aus den vielen vorhandenen Möglichkeiten das für ihn geeignetste Angebot zu finden. Nun wurde von ihm verlangt, selbständig zu wählen (Klientenzentriertes System), doch er hätte sich in dieser Situation eine engere Führung und Betreuung gewünscht.

3) Verstehen und Managen des eigenen Körpers; hier erwähnten die Teilnehmenden vor allem die Veränderungen, welche sie in Bezug auf die Leistungsfähigkeit ihres Körpers wahrnahmen. Die meisten hatten noch nie eine erwachsene Person mit CP getroffen, deshalb fragten sie sich, ob dies wohl die Norm sei, dass ihre Leistungsfähigkeit sich verringerte. Ebenfalls machten sie sich Gedanken über ihre Zukunft. Zum Beispiel, ob es für sie möglich sein würde, eine Familie zu gründen, und ob sie dies selbständig managen könnten.

4) Stereotypien und Vorurteile wurden deutlicher wahrgenommen; sie machten die Erfahrung, dass Leute sie anstarrten. Sie hatten das Gefühl, sich der Gesellschaft erklären zu müssen oder gar, dass sie nicht ernst genommen wurden. Die Personen, welche in dieser Studie teilgenommen haben, hatten alle keine kognitiven Einschränkungen. Dies hat sicher einen Einfluss bei der Interpretation der Resultate.

Eine weitere Studie aus Schweden hat 12 junge Menschen mit CP befragt, welche sich direkt in der Übergangszeit von der Jugend ins Erwachsenenalter befanden (17 bis 18 Jahre). Der Fokus der Gespräche lag bei ihrer Gesundheit, ihrem Wohlbefinden und der gewünschten Unterstützung.2 Alle Befragten wünschten sich für diese Zeit eine flexible Unterstützung. Diese sollte sich an den aktuellen Bedürfnissen orientieren und nicht in erster Linie am biologischen Alter. Die Bindung zu ihrer Familie und ihren Eltern gab den Jugendlichen Sicherheit, jedoch wurde diese auch teilweise als einengend empfunden. Sie wünschten sich selbständig über ihr Leben bestimmen zu können. Da die Teilnehmenden oft auf Hilfe angewiesen waren, konnten sie nur eingeschränkt oder erst später rebellieren. Freunde zu finden und zu behalten oder eine Liebesbeziehung einzugehen, war für die Befragten ein wichtiges Thema. Sie erlebten, dass es für sie schwierig war, selbst Freunde zu finden und diese Freundschaften zu pflegen. Als Kinder waren alle Teilnehmenden aktiv und besuchten verschiedene Therapien. Als Jugendliche nahmen diese Aktivitäten ab oder Therapien fielen weg. Alle befragten Jugendlichen blieben jedoch sportlich aktiv in ihrer Freizeit, indem sie an organsierten Aktivitäten teilnahmen. Spontane Aktivitäten waren oft nicht möglich, da zum Beispiel die Benutzung des öffentlichen Verkehrs vorher geplant werden musste. Ihre Hoffnungen für die Zukunft als Erwachsene konnten die Jugendlichen einfach ausdrücken. Sie wünschten sich ein unabhängiges Leben, und dass sie mit Respekt behandelt werden würden. Sie wünschten sich eine individuelle Begleitung und individuelle Informationen für die Zeit der Transition. Die beste Lösung wäre ein Koordinator, z.B. die Physiotherapeutin oder der Physiotherapeut, oder eine andere Person, mit welcher sie regelmässig in Kontakt standen. Für die Zukunft wünschten sie sich Unterstützung von Fachpersonen und weniger von ihren Eltern.2

In der Schweiz wechseln Personen mit einer CP oder anderen chronischen Erkrankungen zwischen 16 und 21 Jahren von einem Kind-spezifischen System - sowohl in der Medizin als auch in der Bildung - zu Systemen für Erwachsene.3 Aus einer Studie ging hervor, dass diese jungen Menschen einen Wechsel zwischen 18 und 19 Jahren oder später bevorzugten. Die Herausforderung schien grösser für die jungen Menschen, welche bereits mit 16-18 Jahren ins Erwachsenensystem gewechselt haben.3

Als Therapeutinnen und Therapeuten betreuen wir Kinder mit CP oft über mehrere Jahre, vielleicht sogar von Geburt bis zum Erlangen des Erwachsenenalters. Bestimmt nehmen wir in dieser Zeit teilweise auch die Rolle als Koordinatorin oder Koordinator ein. Es lohnt sich sicher, das Thema des Übergangs ins Erwachsenenalter mit den Jugendlichen und ihrer Familie genügend früh anzusprechen. Gerade auch in Bezug auf die Körperwahrnehmung und die Selbständigkeit können wir eine unterstützende Rolle einnehmen. In anderen Ländern gibt es viele Online-Informationen über die „transition into adulthood“ für die Personen selbst und ihre Familien. In der Schweiz habe ich keine spezifischen Angebote gefunden, hier gibt es einen grossen Nachholbedarf.

Webseiten mit Informationen zu „Transition into adulthood“:

https://www.physiotherapyalberta.ca

https://brighterworld.mcmaster.ca/Transition

https://www.bccerebralpalsy.com/for youths in transition

https://www.canchild.ca//108-transition-to-adulthood-guidelines

Quellenangaben

  1. Bagatell, N., Chan, D., Rauch, K. K. & Thorpe, D. “Thrust into adulthood”: Transition experiences of young adults with cerebral palsy. Disabil. Health J. 10, 80–86 (2017).
  2. Björquist, E., Nordmark, E. & Hallström, I. Living in transition - experiences of health and wellbeing and the needs of adolescents with cerebral palsy. Child. Care. Health Dev. 41, 258–265 (2015).
  3. Rutishauser, C., Sawyer, S. M. & Ambresin, A. E. Transition of young people with chronic conditions: A cross-sectional study of patient perceptions before and after transfer from pediatric to adult health care. Eur. J. Pediatr. 173, 1067–1074 (2014).
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