Eva Stephan
Schule für Kinder und Jugendliche mit Körper- und Mehrfachbehinderungen, Zürich
Logopädin MAS NDT
Das Kind ist hypersensibel im orofazialen Bereich und toleriert keine Zahnbürste. Zähneputzen ist ein Kampf – und die Bezugspersonen wollen das Kind nicht zwingen oder traumatisieren. Als Folge davon erlebe wir oft, dass das Zähneputzen weggelassen wird, schliesslich wird das Kind auch nicht oral ernährt. Diese Kolumne handelt davon, warum das für die Atemwege zum Prob-lem werden kann.
Atemwegserkrankungen sind häufig bei Kindern mit Cerebralparese (CP). Sie stellen die häu-figste Todesursache dar und haben einen grossen Einfluss auf die Morbidität und die Lebensqua-lität.1 Die Hauptursachen sind Aspiration von Nahrung, Speichel oder Reflux als Folge einer Dysphagie, sowie ineffektives Reinigen der Atemwege aufgrund der schwachen Atemhilfsmus-kulatur. Die Kombination von Level V auf dem Gross Motor Classification System (GMFCS) und dem Vorliegen einer Dysphagie ist ein Risikofaktor für wiederkehrende Atemwegserkran-kungen, wobei der Faktor Dysphagie schwerer wiegt.1 Weitere Faktoren sind gastro-ösophagaler Reflux, Mangelernährung, die mangelnde Abwehr von pathogenen Bakterien und Epilepsie. 1 Die multifaktoriellen Ursachen von Atemwegserkrankungen bei Kindern mit CP erfordern für die Prophylaxe und Intervention ein multidisziplinäres Vorgehen.
Eine interdisziplinäre Gruppe von über 200 Expert:innen aus der Klinik und der Forschung hat – basierend auf einer systematischen Review, einer Delphi-Studie und Interviews mit Betroffenen und ihren Familien - ein Konsenspapier mit Empfehlungen zur Behandlung von Atemwegser-krankungen bei Kindern mit CP veröffentlicht.2 Aus der Vielzahl der umfassenden Empfehlun-gen werden diejenigen erläutert, welche unseren therapeutischen Alltag direkt betreffen.
Aspirationsprophylaxe: Das Vorliegen einer Dysphagie, unkontrollierte epileptische Anfälle, Re-flux und Speichelverlust sind Risikofaktoren einer Aspiration. Bei der Beratung und Schulung von Betreuungspersonen ist es wichtig, immer wieder zu betonen, dass die Abwesenheit von Hus-ten nicht heisst, dass es nicht zur Aspiration kommt. Aspiration kann still sein! Therapeutische Massnahmen sind Esstherapie zur Verbesserung der oralmotorischen Fähigkeiten sowie gegebe-nenfalls die Anpassung der Konsistenz mit Verdickungsmitteln.
Optimierung der Reinigung der Atemwege: Durch das ineffektive Husten gelingt es manchen Kindern nur ungenügend, die Atemwege von Sekret zu reinigen. In der Physiotherapie sollten Techniken der Sekretmobilisation angewandt werden, und Eltern und Betreuungspersonen sollten angeleitet werden, wie sie das Kind im Sekretmanagement unterstützen können. Eine Sitzposition mit genügend Support besonders des Nackens und der Wirbelsäule hilft beim Reinigen der Atem-wege. Lagewechsel und Mobilisation ermöglichen, dass die Lunge besser belüftet wird und Be-zugspersonen sollten entsprechend angeleitet werden.
Mundhygiene: Der Mund kann ein Reservoir für Bakterien sein, welche Atemwegserkrankungen verursachen. Personen mit CP, welche eine schlechte Zahngesundheit haben sind anfälliger für Lungenentzündung, während eine verbesserte Zahngesundheit dieses Risiko reduziert. 3 Regel-mässige Mundpflege ist deshalb unablässig, besonders für Kinder, die ein Risiko für Atemweg-serkrankungen haben. Und das gilt auch für Kinder, welche nicht oral ernährt werden. Neben der täglichen Zahnputzroutine – welche im Übrigen auch das Schlucken stimuliert und so auch der Aspirationsprophylaxe dient – sollten auch regelmässige Kontrollen beim Zahnarzt dazugehören. Eine Schwierigkeit ist oft, dass das Kind auch den Zahnarzt nicht toleriert. Es lohnt sich, einen Kinderzahnarzt zu suchen, der eine Ersteinschätzung der Zahngesundheit anhand eines Fotos oder Videos vornimmt.
Die Gesundheit der Atemwege betrifft alle Disziplinen. Für kreative Anregungen, wie das in der Praxis umgesetzt werden könnte steht die Kommentarfunktion zur Verfügung. Vielleicht verrate ich Euch dann, wie der Zahnputz-Boogie-Woogie geht.
Quellenangaben