Kolumne
50 Jahre Unterstützte Kommunikation

50 Jahre Unterstützte Kommunikation

Eva Stephan

Schule für Kinder und Jugendliche mit Körper- und Mehrfachbehinderungen, Zürich

Logopädin MAS NDT

50 Jahre Unterstützte Kommunikation

Die Unterstützte Kommunikation feiert ihr50jähriges Jubiläum. Deren Entwicklung ist eng mit dem Bobath-Konzept verbunden und fusst auf einer ähnlichen Haltung.

Der DAS Entwicklungsneurologische Therapiestartet mit dem Unterricht über die Leitgedanken des Bobath-Konzeptes. Ganzgross geschrieben wird das Prinzip des Dialogs: Schon früh forderte Berta Bobath, dass die Therapie eine Interaktion zwischen Therapeut*in und Patient*in sein sollte.1 Der Dialog wurde nicht nur als Sprachdialogverstanden, sondern berücksichtigte auch den Bewegungsdialog. Der Logopäde Paul Goldschmidt (Jahrgang 1914) konnte 1951 mehrere Wochen bei Berta Bobath in London hospitieren. Es ging um die Frage, wie die damals neuen neurophysiologischen Behandlungsmethoden des Bobath-Konzeptes in die logopädische Behandlung von Kindern mit Cerebralparese integriert werdenkönnten.2 1953 veröffentlichte Paul Goldschmidt einen Artikel mit dem Titel „De behandling van de spastische paralyse volgens Bobath. Richtlijnenvoor de Logopedist“. Als Paul Goldschmidt 1969 einen Lehrstuhl für Körper- und Sprachbehindertenpädagogik an der Universität Dortmund bekam, kannte man den Begriff Unterstützte Kommunikation noch nicht. Die Haltung jedoch, dass Kommunikation im Zentrum steht, unabhängig von der Modalität des Austausches und unter Nutzung von allen verfügbaren Hilfen, wurde von Paul Goldschmidt schon seit Beginn vertreten.2

Diese Haltung ist immer noch die Grundlage und der Kern der logopädischen Arbeit, obwohl wir heute hoch entwickelte technische Hilfsmittel zur Verfügung haben. Unterstützte Kommunikation hat begonnen, als Förderlehrer*innen Bilder oder Zeichnungen erfunden haben, damit ihre Schüler*innen etwas zeigen konnten oder als man begann, Gebärden auch bei Menschen mit einer Behinderung einzusetzen.2,4 Letzteres war im Übrigen gar nicht so selbstverständlich: Einige Pädagog*innen meinten, die nicht-sprechenden Kinder auch so zu verstehen und sahen keine Notwendigkeit für die Anwendung von Gebärden.4 Dank den Vorreiterinnen Etta Wilken in Deutschland und Anita Portmann in der Schweiz ist der Einsatz von Gebärden im Kontext Behinderung heute normal.

Entwicklung braucht immer Zeit und sie braucht einen Motor. Es ist schön, wenn ein Vaternach dem Gebärdenkurs erzählt, dass sein Sohn ihm die Gebärden für Farbenbeigebracht hat: Sein Sohn ist der Kompetentere in der „Fremdsprache“ Gebärden. Das gemeinsame Erfolgserlebnis, sich besser zu verstehen und zu verständigen motiviert fürs weitere Lernen. Damit Kinder mit einer Behinderung die jeweilige „Fremdsprache“ UK lernen können, müssen wir kompetente Gesprächspartner sein, die in der Modalität des Kindes – Gebärden, iPad, Kommunikationstafel -vormachen, wie man kommuniziert. Mit dem Begriff Modelling in der Unterstützen Kommunikation ist dies theoretisch klar. Und praktisch? Wie oft nimmt man sich nicht die Zeit, den Erzählungen eines Kindes zu folgen oder eine Frage stellen, weil man Therapie machen will und keine Zeit hat, das Kommunikationsgerätauszupacken? Wieczorek (2020) hebt hervor, dass Kinder mit einer schweren Behinderung für eine Beteiligung an der sozialen und kulturellen Welt auch darauf angewiesen sind, dass die Erwachsenen sich an dem beteiligen, was für sie bedeutsam ist.5 Und wir können nur herausfinden, was für das Kind bedeutsam ist, wenn wir seine Kommunikation verstehen wollen und ihm ermöglichen, sich zu verständigen. Auch wenn es Zeit braucht.

Im Unterricht über die Leitgedanken haben wir auch über das Alltagsprinzip gesprochen: Bobath ist ein 24h-Konzept. Und das bedeutet, dass auch Kommunikation in vielfältigen Alltagssituationen statt findet, in der Modalität, die dem Kind zur Verfügung steht.

Die Unterstützte Kommunikation im deutschen Sprachraum hat ein Jubiläum. Um lebendig zu bleiben und sich weiter zu entwickeln braucht sie uns. Unser Fachwissen und den interdisziplinären Austausch, um ein Kommunikationssystem zu finden, das dem Kind ermöglicht, sich zu verständigen und in dem das Kind kompetent werden kann. Es braucht unsere Freude an der Kommunikation, ein ehrliches Wissen-Wollen, was das Kind bewegt.

Und noch eine Aussage zum 24h-Konzept - und zu Pausen! -  gemacht von der elfjährigen V. mit ihrem Kommunikationsgerät, nachdem sie 15min mit mir Lesen geübt hat: „Fertig Logo, tschüss, gute Nacht“.

Quellenangaben

  1. Vögele, P. (2015).  Immer kontrolliert in Bewegung. Et Reha. 54,10. 13-16
  2. Weid-Goldschmidt, B.(2024). Und was war vor 1990? Eine UK-Botschafterin der ersten Stunde erzählt.Unterstützte Kommunikation 4/2024. 6-14.
  3. Broschüre PaulGoldschmidt 8.8.1914-10.8.2010. retrieved March, 4, 2025 from https://www.gesellschaft-uk.org/files/fotos/News/Broschüre%20Paul%20G.pdf
  4. Wilken, E. (2024). DieEntwicklung der Gebärden-unterstützten Kommunikation zur Förderung von Spracheund Teilhabe. Unterstützte Kommunikation 4/2024. 16-20.
  5. Wieczorek, M. (2020).Bildung bei schwerer Behinderung durch Beteiligung und Dialog. SchweizerischeZeitschrift für Heilpädagogik, 25/ 5-6, 9-15. 
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