Petra Marsico
Physiotherapeutin & Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Kinder-Reha Schweiz
Studienleiterin SAKENT I ASEND
Im therapeutischen Kontext wird teilweise der Begriff «Anbahnung von Bewegungen oder Funktionen» verwendet. Dazu folgende Beispiele «Anbahnen des Armstützes» (S.277)1 im Zusammenhang mit der Vojta Reflexumdrehung, oder im Kontext der Umweltgestaltung: «Die zusätzliche Adaptation eines Tisches erlaubt das Anbahnen der Stützfunktion und kann beim Durchführen von Alltagsaktivitäten (Spielen, Essen oder Schreiben) genutzt werden.» (S. 329)1. Doch was genau verstehen die Therapeut*innen unter dem Begriff «Anbahnen» und existiert dieser Begriff im grösseren medizinischen Kontext ebenfalls? Dies erfährst du in dieser Kolumne.
Die deutsche Sprache nutzt viele Allegorien und bildliche Begriffe. Daher können wir annehmen, dass «Anbahnen» im Zusammenhang mit der Bewegungstherapie aus der Vorstellung von «Hemmen und Bahnen» hergeleitet wurde. Diese Annahme wird im Buch «Abnormale Haltungsreflexe bei Gehirnschäden» von Berta Bobath (Deutsche Übersetzung; S. 87) bestätigt: Sie (die Bobath Behandlung) besteht in der Hemmung (Inhibition) von pathologischen Haltungsreflexen, die von der Bahnung der Stellreflexe und Gleichgewichtsreaktion begleitet ist.2
Gerade der Begriff «Inhibition» wird heute im Bobath-Konzept nicht mehr verwendet. Margaret Mayston beschreibt diesen Wandel wie folgt: das Wissen über die neuralen und nicht-neuralen Komponenten auf die Bewegung und Handlung haben dazu geführt, dass der Begriff «Inhibition» für die Bobath Therapie nicht mehr relevant ist.3 Ebenfalls wurden die Begriffe von Haltungsreflexe, Stellreflexe und Gleichgewichtsreaktionen aufgrund neuer Erkenntnisse aus dem motorischen Lernen mit Haltungsreaktionen, Stellreaktionen, kompensatorische Haltungskontrolle (Engl. Compensatory Postural Adjustment CPA) und antizipatorische posturale Kontrolle (Engl. Anticipatory Postural Adjustments APA) ersetzt.4–7
In der englischen Literatur nutzte Berta Bobath die Begriffe «Inhibition» und «Facilitation».8,9 Sie beschrieb eine Bahnung (Erleichterung) normaler Gleichgewichtsreaktionen in allen Positionen als wesentliche Vorbereitung für das Stehen und Laufen als Behandlungsschwerpunkt (S.86).2 Der englische Begriff «Facilitation» wurde demnach im Deutschen ursprünglich mit «Bahnung» übersetzt.
Heute verwenden wir ebenfalls den Begriff Fazilitation als eine Behandlungstechnik des Bobathkonzepts.10 Die Definition hingegen hat sich geändert: Manuelle und körperliche Unterstützung in Alltags- und Handlungssituationen, damit das Kind bestmöglich selbst aktiv werden kann und zu variablen Problemlösungen angeregt wird.11 In dieser aktuellen Beschreibung sind Prinzipien des motorischen Lernens wie Eigenaktivität und Problemlösung, z.B. Versuch und Irrtum enthalten.12,13
In weiteren medizinischen Disziplinen werden weder der Begriff «Anbahnen» noch der Begriff «Fazilitation» verwendet. Eine Ausnahme bilden hier die Logopädie und die Pädagogik. So wird unter anderem in der Logopädie sehr oft von «Laute anbahnen» und «Lesen Anbahnen» gesprochen.14,15 Diese Begriffe stehen jedoch nicht im Zusammenhang mit dem Bobath-Konzept. Hier wird Anbahnen mit den Bahnen des Zentralnervensystems in Verbindung gebracht, d.h. je häufiger bestimmte Bahnen für die Übertragung von Impulsen genutzt werden, desto schneller kann die Aufgabe ausgeführt werden.16,17
Deshalb ist es von großer Bedeutung, dass wir unsere therapeutischen Maßnahmen klar beschreiben und dass diese mit den Zielen der Kinder und Familien übereinstimmen.
In einem persönlichen Gespräch schlug Dr. Angelika Enders den passenden Begriff für Anbahnen/Fazilitation vor: "auf den Weg bringen". Ich denke, dieser Ausdruck ist sehr passend und kann sowohl für das Kind in der Therapie als auch für uns als Therapeut*innen verwendet werden. Entscheidend ist nämlich die Konsequenz der Wahl des therapeutischen Verfahrens, und ein klares Verständnis der Terminologie kann diese Wahl beeinflussen.
Quellenangaben
Referenzen