Kolumne
«Blick zurück» oder «Blick nach vorne»?

«Blick zurück» oder «Blick nach vorne»?

Petra Marsico

Physiotherapeutin & Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Kinder-Reha Schweiz

Studienleiterin SAKENT I ASEND

«Blick zurück» oder «Blick nach vorne»? Sicher wurdet ihr auch schon um Rat gefragt, ab wann es üblich ist, den Kinderwagen so einzustellen, dass das Kind nach vorne schaut - also der Umwelt zugewandt. Einige Überlegungen und spannende Studienergebnisse folgen in dieser Kolumne.

Wenn das Baby klein ist, ist der Kinderwagen so konstruiert, dass die Eltern das Kind sehen können. Dies hat einige Vorteile: Die Eltern können das Kind überwachen, sie können es direkt ansprechen, berühren und finden den Schnuller schnell wieder. Mit zunehmendem Interesse des Kindes an seinem Umfeld und der Entwicklung der Sitzfähigkeit, wird der Kinderwagen oft durch einen Buggy ersetzt. Dies geschieht oft zwischen dem siebten und neunten Monat. Der vorherrschende Meinung nach profitiert das Baby davon, wenn es sich die Umwelt ansieht. Dies wird auch von den Buggy-Herstellern ebenfalls so dargestellt.1 Forschung konnte jedoch zeigen, dass die Babys für die Erfahrungen mit ihrem Umfeld die Unterstützung ihrer Eltern oder Bezugspersonen brauchen. Sie lernen durch die wechselseitige Beziehung von Interaktion mit den Bezugspersonen und der Umwelt.2

Eine grosse Studie aus Schottland befasste sich mit der Frage des Einflusses der Sitzrichtung im Kinderwagen oder Buggy auf die Eltern-Kind-Interaktion.3 Sie beobachteten insgesamt 2’722 Kinder unter drei Jahren und deren Eltern während mehreren 30-minütigen Spaziergänge. Das erste Projekt befasste sich mit der sozialen Interaktion der Kinder mit ihren Eltern und der bevorzugten Positionierung im Kinderwagen. In einem zweiten Projekt wurden Indikatoren für den Stress der Kinder untersucht, wofür Audioaufnahmen der Spaziergänge gemacht und die Herzfrequenz der Kinder aufgezeichnet wurden. Von den Kindern unter einem Jahr wurden 60% im Buggy mit Blick nach vorne, 34% mit Blick zu den Eltern transportiert und 6% wurden getragen. Die Studie ergab weitere spannende Resultate: So sprachen Eltern doppelt so häufig mit ihren Kindern, wenn diese mit Blickkontakt zu ihnen im Buggy sassen. Die Kinder und Eltern die Blickkontakt zueinander hatten lachten ebenfalls häufiger. Beim Fahren mit dem Blick nach vorne wird davon ausgegangen, dass die Kinder aufgrund der vielen Eindrücke einem erhöhten Mass an Stress ausgesetzt werden. Im Gegensatz dazu waren die Kinder, die ihre Eltern ansahen entspannter und schliefen doppelt so häufig im Kinderwagen. Kommunikation und Interaktion sind für die Entwicklung des Gehirns in den ersten Lebensjahren von entscheidender Bedeutung. Daher sind Blickkontakt und die Möglichkeit für das Kind, mit den Betreuungspersonen zu kommunizieren, sehr wichtig.

Wie bei vielem ist auch die Platzierung im Buggy eine Frage der Dosis. Es kann sicher nicht schaden, den Blickwinkel ab und zu in die andere Richtung zu legen. Hilfreich sind hier sicher auch Kinderwagen, bei denen der Schiebegriff rasch und einfach umgestellt werden kann. So können die Eltern auf die Bedürfnisse ihrer Kinder eingehen. Auch in Bezug auf die Kinder mit Schwierigkeiten in ihrer Entwicklung wird oft von dem «Enriched Environment» (Bereichertes/angereichertes Umfeld) gesprochen.4 Wichtig ist auch hier zu bedenken, dass die Interaktion im Vordergrund stehen solle und auch dieses Angebot immer in Bezug zum Stresslevel des Kindes evaluiert wird.

Quellenangaben

  1. Sehat, A. R. & Nirmal, U. State of the art baby strollers : Design review and the innovations of an State of the art baby strollers : Design review and the innovations of an ergonomic baby stroller. Cogent Engineering 324, (2018).
  2. Swain, J. E., Loberbau, J. P., Kose, S. & Strathearn, L. Brain basis of early parent–infant interactions: psychology, physiology, and in vivo functional neuroimaging studies. Journal of Child Psycho 48, 262–287 (2015).
  3. Zeedyk, S. What’s life in a baby buggy like?: The impact of buggy orientation on parent-infant interaction and infant stress. National Literacy Trust 44, 1–35 (2008).
  4. Morgan, C., Novak, I. & Badawi, N. Enriched Environments and Motor Outcomes in Cerebral Palsy: Systematic Review and Meta-analysis. Pediatrics 132, e735–e746 (2013).

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