Petra Marsico
Physiotherapeutin & Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Kinder-Reha Schweiz
Studienleiterin SAKENT I ASEND
„Prävention und Management von Atemwegserkrankungen“ – eine Australische Gruppe aus Kliniker*innen und Forscher*innen hat Richtlinien zur Prävention und der Behandlung von Atemwegserkrankungen bei Kindern mit Cerebralparese (CP) erstellt. Ich konnte ihren Workshop am diesjährigen online European Academy of Childood Disability (EACD) Kongress verfolgen. Gerne möchte ich in dieser Kolumne die Arbeit von Noula Gibson und ihrem Team vorstellen.1
Die Lebenserwartung von Personen mit schweren körperlichen Einschränkungen aufgrund einer CP, oder ähnlichen Diagnosen ist reduziert. Hauptgründe dafür sind respiratorische Problematiken und deren Komplikationen.2 Rezidivierende Atemwegserkrankungen führen zu vermehrten und längeren Spitalaufenthalten und können einen negativen Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen haben.3–5 Deshalb ist es wichtig die Risikofaktoren von Atemwegserkrankungen zu kennen und die Fachkompetenz zu haben, wie Atemwegserkrankungen vermieden oder behandelt werden können. Die Richtlinien basieren auf den Ergebnissen einer systematischen Literaturrecherche und einer Delphi-Befragung von 200 Experten aus der ganzen Welt. Sie sind in drei Teile strukturiert:
1. Erkennen und Managen von Risiken für die Prävention von Atemwegserkrankungen
Folgende Risikofaktoren wurden identifiziert: „Gross Motor Function Classification System“ (GMFCS) Level V, zurückliegende Hospitalisation auf Grund Atemwegserkrankungen, Oropharyngeale Dysphagie, aktive Epilepsie, regelmässig auftretende Symptome wie Husten, Keuchen, Schleim oder brodelnde Atemgeräusche, Gastroösophagealer Reflux, Antibiotika Behandlungen von Atemwegserkrankungen, Respiratorische Symptome während dem Essen und jede Nacht schnarchen.
Wenn bei einem Kind eine CP diagnostiziert wird, sollten Kliniker die Familien über die Bedeutung der Atemwegserkrankung Informieren, insbesondere wenn ein Kind gefährdet ist (GMFCS Level V). Aufgrund von Aspirationen haben Kinder mit Schluckstörungen ein erhöhtes Risiko einer Atemwegsinfektion. Es gibt zwei spezifische Klassifikationen einer Schluckstörung, einerseits die „Dysphagia Outcome and Severity Scale“ (DOSS) und andererseits das „Eating and Drinking Ability Classification System“ EDACS. Ein Aspirationsrisiko von Essen, Trinken und Speichel soll dadurch erkannt und verhindert werden. Dies ist schwierig, da es sich oft um eine sogenannte „Stille Aspiration“ ohne äussere Anzeichen handelt. Aspirationen sind besonders gefährlich, da sie aufgrund der Bakterienbildung Lungenentzündungen auslösen können. Risikofaktoren für Aspirationen sind Dysphagie, unkontrollierte Epilepsie, Reflux und viel Speichel. Eine Verbesserung der Freiheit der Atemwege durch Lagerung, Positionieren, hustenunterstützende Massnahmen sowie der Erhalt der Beweglichkeit des Brustkorbes ist anzustreben. Zusätzlich sollte eine auf eine ausgewogene und ausreichende Ernährung geachtet werden. Denn Mangel Ernährung kann das Immunsystem schwächen. Positiv auf die Atemwege wirkt auch Körperliche Aktivität. Durch eine vertiefte Atmung, werden vor allem die kleinen Atemwege belüftet. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Aufrechterhaltung der Dentalhygiene, um Bakterien im Mund zu reduzieren. Darüber hinaus wird die jährliche Grippeimpfung für die betroffene Person und ihre Familien empfohlen.
2. Assessments der Atemwegsgesundheit bei Kindern mit CP
Die Überprüfung der Atemwege ist ein fortlaufender Prozess, der für jedes Kind so lange fortgesetzt wird, bis das Risiko für Atemwegserkrankungen gemindert werden konnte. Meist bleibt jedoch ein Rest-Risiko und somit auch die Überprüfung oder Überwachung bestehen. Die Überprüfung der Atemwegsgesundheit hilft bei der Identifizierung sowohl des Risikos, als auch einer bereits bestehenden Atemwegserkrankung. Zu den Assessments einer Prüfung der Atemwegsgesundheit gehören einerseits die oben genannten Assessments wie EDACS und DOSS. Andererseits können auch weitere Testungen wie eine Videofluoroskopie, eine Schlafüberwachung, oder ein bildgebendes Verfahren der Lunge, je nach Situation notwendig sein.
3. Behandlung der Atemwegserkrankungen
Die Behandlung von Atemwegserkrankungen erfordert ebenso wie die Prävention eine Partnerschaft zwischen Gesundheitsfachleuten, jungen Menschen mit CP und deren Familien. Das Management muss proaktiv und rechtzeitig erfolgen. Die Empfehlungen in Punkt 1 beziehen sich ebenfalls auf die Behandlung. Wichtig ist ein frühzeitiger Start der konservativen Behandlung und falls notwendig, der medikamentösen Behandlung.
Aufgrund der tiefen Evidenzlage der aktuell vorhanden Forschungsarbeiten im Bereich von Lungenerkrankungen bei Personen mit CP, basieren die Richtlinien vor allem auf den Einschätzungen der Experten. Es bleibt ein Abwägen zwischen dem, was mittels Evidenz belegt wurde und den Interventionen oder Massnahmen von welchen Experten ausgehen, dass sie wirken. In beiden Fällen ist es wichtig, mit spezifischen Assessments den Nutzen und die Effektivität der Massnahmen zu überprüfen, um so in Zukunft Erfahrungen auf Daten abstützen zu können.
Über diesen LINK kann die Zusammenfassung der Empfehlungsstandards heruntergeladen werden.
Quellenangaben