Petra Marsico
Physiotherapeutin & Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Kinder-Reha Schweiz
Studienleiterin SAKENT I ASEND
„Testung der Somatosensorik – aktuelles aus Praxis & Forschung“
Die Relevanz der Haut-, Muskel- und Gelenkrezeptoren als Informationsquellen für unsere Bewegungsplanung und unser Handeln wird in der Behandlung von Kindern mit neurologischen Einschränkungen oft zu wenig beachtet. Und dies obwohl gerade Kinder vom ersten Lebenstag, ja bereits im Bauch der Mutter, mit den Wahrnehmungen über das somatosensorische System die Welt entdecken. Wenn davon ausgegangen wird, dass 42% bis 90% der Kinder mitCerebralparesen Defizite der somatosensorischen Funktionen auf-weisen, solltenwir diese Aspekte bewusster in unsere Befundaufnahme und Behandlungsplanungintegrieren.1 Doch die Assessments und Testverfahren sind so zahlreich, dass sich viele Therapeuten darin verlieren. Es ist nicht einfach,die richtigen Assessments für das jeweilige Kind zu wählen und vor lauter Testungen die Behandlung nicht zu vergessen.
Zwei australische Forschungsgruppen haben sich mit der Testung der Somatosensorik beschäftigt.1,2 Auld und seine Kollegenuntersuchten die psychometrischen Eigenschaften von somatosensorischen Assessments bei Kindern mit neurologischen Einschränkungen. Sie haben neununterschiedliche Assessments in ihre Literaturarbeit eingeschlossen.1Unter anderen waren dies die Testung der taktilen Wahrnehmung mit Semmes-Weinstein-Monofilamenten (SWM), die Zwei-Punkte-Diskrimination und die Stereognosis. Die meisten der eingeschlossenen Assessments werden zur Testung der somatosensorischen Sensibilität der Hände eingesetzt. Einige Instrumente weisen gute psychometrische Eigenschaften auf, jedoch sind sie teil-weise sehr teuer (SWM) oder zeitaufwändig.1 Die andere Forschungsgruppe erfasste durch eine Online-Befragung die somatosensorischen Assessments, die von australischen Ergotherapeutinnen und Physiotherapeutinnen in ihrem Praxisalltag eingesetzt werden.2 Die Resultate zeigten, dass vor allem informelle Tests, wie Beobachtung und Befragung sowie nicht standardisierte Tests angewandt werden. Im Gegensatz dazu kamen die wissenschaftlich untersuchten und publizierten Assessments kaum zum Einsatz. Die Therapeutinnen waren nicht zufrieden mit den aktuellen Messmethoden, die sie einsetzten, denn valide und verlässliche Assessments für Kinder mit neurologischen Einschränkungen sind nur wenige vorhanden.2
Obwohl die Therapeutinnen und die Therapeuten die Wichtigkeit der Untersuchung des somatosensorischen Systems erkennen, nimmt die Testung in der Regel nur eine Nebenrolle in der Befunderhebung ein. So wenden die befragten Therapeutinnen in der Regel nicht mehr als 5 bis 10 Minuten für die Testungauf.2 In ihrer Bachelorarbeit mit dem Titel: „Testverfahren zur Beurteilung der Körperwahrnehmung, bezogen auf die untere Extremität bei Kindern mit sensomotorischen Defiziten - eine systematische Übersichtsarbeit“, hat Susanne Löw eine vergleichbare Umfrage gestartet, mit ähnlichen Resultaten wie Walmsley und seine Kollegen. Sie erkannte zusätzlich, dass die Begriffe wie „Placing“ und „Mirroring“ sehr unterschied-lich beschrieben wurden. Ihre Befragung hat ergeben, dass die Testverfahren, die den Therapeutinnen und Therapeuten bekannt sind, in der Praxis auch eingesetzt werden. Auch in ihrer Befragung waren dies vor allem informelle und nicht standardisierte Testverfahren (Abbildung 1).
n= 45Befragte davon 26 aus der Physiotherapie, 12 aus der Ergotherapie und 7 aus der Logopädie
Eine klare Definition der Begrifflichkeiten und objektive Methoden würden die Therapeutinnen und Therapeuten bei ihren Untersuchungen des somatosensorischen Systems unterstützen und ihnen helfen, Zusammenhänge mit dem Bewegungslernen besser zu erkennen und zu deuten. Es braucht spezifische Tests, die einfach in der Praxis angewandt werden können. Im besten Fall sind die Tests für die Praxis frei zugänglich, damit für die Nutzung keine Hürden bestehen. Mit dem Einsatz von validen und verlässlichen Testverfahren können Defizite der Somatosensorik erkannt werden und in der Behandlung berücksichtigt werden. Dies ermöglicht auch die Untersuchung der Effektivität von Behandlungen. Erfreulich wäre, wenn dadurch auch die Technik der Fazilitation wieder vermehrt an Bedeutung gewinnen würde Wer mehr über das somatosensorische System lesen möchte, findet einen spannenden Beitrag unter folgendem LINK
Quellenangaben