Kolumne
Body Awareness – Körperwahrnehmung

Body Awareness – Körperwahrnehmung

Petra Marsico

Physiotherapeutin & Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Kinder-Reha Schweiz

Studienleiterin SAKENT I ASEND

„Body Awareness – Körperwahrnehmung“ Ich möchte in dieser Kolumne das Thema der Körperwahrnehmung, das wir in den Kolumnen 17 und12 bereits angeschnitten haben, vertiefter beschreiben. Die Körperwahrnehmung – in der englischen Fachsprache als «Body Awareness» bezeichnet – beschreibt ein komplexes Konstrukt, bestehend aus verschiedenen Komponenten: Je nach Definition liegt der Fokus mehr auf der körperlichen inneren Wahrnehmung oder auf der Wahrnehmung von aussen.1 Die innere Wahrnehmung besteht aus der Tiefenwahrnehmung (Propriozeption) und dem Gleichgewichtssinn.2 Zusammen mit den Informationen von unseren weiteren Sinneswahrnehmungen wie das Fühlen, Sehen und Hören, bilden sie die Basis unserer «Body Awareness».2 Diese wird durch weitere Komponenten aus unserem Umfeld (z.B. Kultur, Familie, Freunde, Erwartungen) und unserer Erfahrungen (z.B. Bewegung, Motivation, Aufmerksamkeit) beeinflusst.3

Wenige Studien beschäftigen sich mit der Körperwahrnehmungvon Kindern und Jugendlichen mit Cerebralparesen (CP). Um die Körper-Repräsentation bei Kindern mit unilateraler CP zu ergründen, liessen die Autoren einer Studie zwölf Kinder mit unilateraler CP drei Bilder zeichnen: (1)ein Selbstporträt, (2) ein Porträt von ihrer besten Klassenkameradin/ihres besten Klassenkameraden; (3) ein Porträt eines anderen Kindes mit unilateralerCP.4 Das Ergebnis: Die Kinder zeichneten sich selbst mit vermehrter Asymmetrie. Das heisst, dass sie die hemiparetische Hand

kleiner zeichneten und/oder mit weniger oder keinen Fingern. Die Zeichnungen ihrer Schulkameradinnen und -kameraden ohne CP und diejenigen eines anderen Kindes mit unilateralen CP wiesen nicht diese Asymmetrien auf. Die Studie zeigt, dass in dieser Gruppe von Kindern mit unilateralen CP die Eigen-Körperwahrnehmung, jedoch nicht die Körper-Repräsentation im Generellen verändert ist. Demnach scheint die eigene Erfahrung der Asymmetrie Einfluss auf die Eigen- Körperwahrnehmung zu haben, aber nicht auf die Wahrnehmung in Bezug auf Körper-Repräsentation im Allgemeinen.4

In einer weiteren Untersuchung wurden 45 Kinder mit unilateraler CP im Alter zwischen fünf und elf Jahren in Bezug auf ‘Körperschema’, ‘Körperstruktur-Beschreibung’ und ‘Körpervorstellung’untersucht.5 Die Kinder sollten Körperteile auf Bildern erkennen und die Körperteile an sich zeigen, oder Körperteile mit ähnlicher Funktion einander zuordnen. Die Resultate der Kinder mit CP wurden mit denen von Kindern ohne senso-motorischen Einschränkungen verglichen. In allen drei Bereichen konnten die Kinder mit CP die Körperteile weniger gut zuordnen als ihre gleichaltrigen Kameradinnen und Kameraden ohne CP. Ein spezifischer Einfluss des Alters auf die Körper-Repräsentation konnte nicht nachgewiesen werden. Kinder jedoch mit besseren kognitiven Fähigkeiten erzielten höhere Werte (mehr korrekte Zuordnungen) in allen drei Bereichen der Körper-Repräsentation.5

Die eigene Erfahrung von Bewegung und Handlung beeinflussen die Entwicklung der Eigen- Körperwahrnehmung.4 Ob solche Veränderungen der Körperwahrnehmung ebenfalls einen Einfluss auf die Selbständigkeit und das tägliche Leben der Kinder hat, muss noch untersuchtwerden. 5 Doch wir können davon ausgehen, dass positive Bewegungserfahrungen der Kinder in ihrem Alltag, einen positiven Einfluss auf ihre Körperwahrnehmung haben. Tätigkeiten, welche eine Aktivität beider Körperteile zu gleichen Massen fordern wie Fahrradfahren, etwas Grosses tragen oder schieben, klettern, schaukeln, schwimmen und weitere, können zu einer solchen positiven Bewegungserfahrung beitragen.

Quellenangaben

  1. Mehling, W.E. et al. Bodyawareness: Construct and self-report measures. PLoS One 4, (2009).
  2. Laube, W. Sensomotorisches System PhysiologischesDetailwissen für Physiotherapeuten. (2009).
  3. Mehling, W.et al. Body Awareness: a phenomenological inquiry into the common ground ofmind-body therapies. Philos. ethics, Humanit. Med. 6, 5341–6 (2011).
  4. Nuara, A.,Papangelo, P., Avanzini, P. & Fabbri-Destro, M. Body Representation inChildren With Unilateral Cerebral Palsy. Front. Psychol. 10, 1–6 (2019).
  5. Fontes, P.L. B., Cruz, T. K. F., Souto, D. O., Moura, R. & Haase, V. G. Bodyrepresentation in children with hemiplegic cerebral palsy. Child Neuropsychol.23, 838–863 (2017).
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