Kolumne
Zystische Periventriculäre Leukomalazie

Zystische Periventriculäre Leukomalazie

Ruth Portmann

selbständige Kinderphysiotherapeutin, Wohlen

MSc Physiotherapie

Zystische Periventriculäre Leukomalazie: Dass Eltern mit einem sehr früh geborenen Kind (29. SSW) durchgeschüttelt werden, erstaunt wenig. Dass es dann noch eine Zwillingsgeburt ist und beim Zwilling A eine Zystische Periventriculäre Leukomalazie diagnostiziert wird, lässt uns die grosse Herausforderung erahnen, die auf die Eltern zukommt. In der Begleitung dieser beiden Zwillingsmädchen und ihrer Familie - sie haben noch zwei ältere Geschwister - suchen die Eltern immer wieder das Gespräch über die Erwartungen, die sie zukünftig fürs Leben ihrer Tochter haben dürfen. Meine Devise ist, stets die positive motivierende, sich an den Fortschritten orientierende, Haltung zu bewahren, sicher keine falschen Hoffnungen zu wecken und sicher nichts Falsches zu erzählen. Was weiss die neueste Wissenschaft zu diesem Thema?

Vor der 32. SSW besteht eine hohe Vulnerabilität der um die Hirnventrikel gelegenen weissen Substanz1. In dieser Phase ist die Differenzierung der Gliazellen noch nicht abgeschlossen und zum anderen hat die Bemarkung erst begonnen. Diese Hirnregion reagiert sehr empfindlich auf Sauerstoffmangel auf Grund ihrer anatomischer Durchblutungsverhältnisse. Dieser Sauerstoffmangel lässt die typischen Läsionsmuster der Periventriculären Leukomalazie entstehen (Leukos. weiss, malacia: Erweichung). Die Prävalenz bei einem Geburtsgewicht unter 1500 g beträgt 5% 2. Je tiefer das Gestationsalter ist, desto höher ist das Vorkommen 3.

Die Zystische (fokale Nekrosen führen zu zystischem Umbau) Periventrikuläre Leukomalazie (ZPVL) ist diejenige Hirnläsion mit dem höchsten Risiko auf eine Cerebrale Bewegungsstörung (CP). 86% der betroffenen Kinder entwickeln eine CP 4, welche nicht vor 18 Monaten diagnostiziert werden kann 5. Dabei spielt das Ausmass der Läsion jeweils eine Rolle 4.

Die posturale Muskelaktivität organisiert sich auf zwei Ebenen: der richtungsspezifischen (direction- specificity) und später der feinabgestimmten richtungsspezifischen Aktivität (fine-tuning of direction-specific activity). In ihrer Entwicklung verbesserten die ZPVL Kinder zwar nur mässig und verspätet zur gesunden Kontrollgruppe ihre richtungsspezifischen posturalen Aktivitäten, ihre Feinabstimmung, d.h. wenn die Anforderungen der Situation angepasst zu modulieren wären, bleibt während ihrer Entwicklung schlecht 5. Die ZPVL betroffenen Kinder zeigten auch eine längere Latenz, um die Halsbeuger und thorakalen Strecker zu rekrutieren 5. Diese Kinder werden also stets substanzielle Probleme mit ihrer posturalen Kontrolle haben, was für die Therapie bedeutet, dass eine gute adäquate Unterstützung der Haltung im Sitzen mit zielorientierten Aufgaben (essen, spielen) angeboten werden sollte 5.

Das Risiko der intellektuellen Einschränkung bei ZPVL ist kleiner als das Risiko, eine CP zu entwickeln. Aber auch ohne intellektuelle Einschränkung zeigen sie kognitive Einschränkungen wie verminderte Aufmerksamkeit und ein eingeschränktes soziales Lernen 4.

Kinder, die eine CP, welche oft eine Spastizität zur Folge hat, entwickeln, zeigen schon sehr früh (vier Monate nach korrigiertem Geburtstermin) einen gesteigerten Patellarsehnenreflex. Er ist also eine wertvolle Erweiterung in der klinischen Untersuchung von Kindern, welche ein erhöhtes CP Risiko haben 6.

Jede Entwicklung verläuft schlussendlich individuell. Eine bessere Voraussage jedoch, wie sich das Kind entwickeln könnte, ist ein wichtiges Instrument für die Planung der Interventionen und eben auch für die Beratung der Familien.

Quellenangaben

  1. Tacke, U., «Red Flags» der motorischen Entwicklung vom Säuglings- bis zum Schulalter. Physiotherapia Paediatrica Bulletin 36. 16-21 (2018)
  2. Wikipedia, Periventrikuläre Leukomalazie, Häufigkeit, 20.9.2019
  3. Ahya, K.P., Suryawanshi, P., Neonatal periventricular leukomalacia: current perspectives. Dovepress 8. 1-8 (2018)
  4. Hielkema, T., Hadders-Algra, M., Motor and cognitve outcome after specific early lesions of brain-a systematic review. Developmental Medicine and Child Neurology 58. 46-52 (2016)
  5. Boxum, A.G., Dijkstra, L.-J., la bastide-van Gemert, S, Hamer, E. G., Hielkema, T., Reinders-Messelink, H., Hadders-Algra M., Development of postural control in infancy in cerebral palsy and cystic periventricular leukomalacia. Research in Developmental Disabilities 78. 66-77 (2018)
  6. Hamer, E.G., la Bastide-van Gemert, S., Boxum, A.G., Dijkstra, L.J., Hielkema, T., Vermeulen, R.J., Hadders-Algra, M., The tonic response to the infant knee jerk as an early sign of cerebral palsy. Early Human development 119. 38-44 (2018)
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